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Psychologische Ersthilfe

Was kann ich tun?

 

Wer kennt das nicht: ein Fahrradunfall, ein Sturz beim Skifahren oder eine Verletzung bei der Haus- oder Gartenarbeit.

Verletzt man sich, so kann es vorkommen, dass man erst einmal unter einer Art Schock steht.

Aber was ist das genau? Und was ist aus psychologischer Sicht zu tun, wenn der körperliche Schaden eher klein, die Emotionen aber negativ und groß sind?

 

Anders als geplant…

Wir waren im Urlaub und planten eine Wanderung in den Wäldern von Madeira. Doch dieser Ausflug verlief anders als gedacht…

Beim Losfahren war das Wetter noch wechselhaft, doch als wir den Parkplatz erreicht hatten, ging ein Platzregen nieder, der mehrere Stunden anhalten sollte. Wir gingen trotzdem los und waren nach den ersten Metern trotz Regenbekleidung komplett durchnässt. Nach nur wenigen Kilometern kamen wir an einer Hütte mit Bewirtung an, in der auch andere Wanderer bereits Unterschlupf gesucht hatten.

Ich stand am Kamin, um mich aufzuwärmen, als eine junge Frau hereinkam. Sie war völlig durchnässt, und rote Farbe rann über ihre rechte Gesichtshälfte. War das Blut? Als sie ihre Kappe vom Kopf nahm, sah ich, dass sie dort eine Verletzung hatte. Ein Blick in ihr Gesicht verriet mir, dass sie vermutlich unter Schock stand. Da ich meine Masterarbeit über solche Erlebnisse geschrieben hatte, wusste ich sofort, was zu tun ist…

 

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)

Wenn wir selbst einen Unfall haben oder wenn wir Unfälle bei anderen miterleben müssen, kann es vorkommen, dass wir nicht nur während der Situation körperlich oder psychisch leiden, sondern unsere Psyche auch danach noch stark beeinträchtigt ist. Das ist bei einer posttraumatischen Belastungsstörung der Fall. Hier haben wir auch nach einem Trauma (deshalb „post“ = danach) noch Gefühle und Erinnerungen, die unser Wohlbefinden stören und die uns belasten – manchmal mehr, manchmal weniger, je nach Persönlichkeit und nach erlebter Situation (Trauma).

Aber man kann etwas tun, um gerade bei kleineren Unfällen Belastungen dieser Art zu vermeiden. An der Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass es in diesem Artikel um kleinere Unfälle bzw. Verletzungen sowie um minderschwere schockähnliche Situationen geht. Schwere Unfälle, Traumata oder nach ICD-10 definierte Schocks gehören auf jeden Fall in ärztliche Behandlung, denn sie können lebensbedrohlich sein.

 

Was passiert bei einem Unfall bzw. Trauma?

Bei einem Unfall werden unser Körper und unser Nervensystem in Alarmbereitschaft versetzt. Wir sichern unser Überleben. Das bedeutet, dass das Nervensystem übererregt wird, damit es kämpfen, fliehen oder sich tot stellen kann (als Schutzreaktion). Dabei wird eine enorme Menge Energie freigesetzt. Wird dieses Energiepotential jedoch nicht abgebaut, weil wir z. B. nicht fliehen oder kämpfen können, unsere Emotionen zu unterdrücken versuchen oder ruhig gestellt werden, dann bleibt diese Energie im Körper „eingefroren“, und es kann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen.

 

Was kann ich tun?

Was kann ich also tun, wenn es zu einem Unfall kommt und ich (oder eine andere Person) in einen schockähnlichen Zustand gerate? Wichtig ist, dass wir die Gefühle unseres Körpers wahrnehmen und nicht versuchen, sie zu unterdrücken. In der Regel bekommen wir „weiche Knie“, beginnen zu zittern und haben vielleicht sogar Angst. Begleitet werden diese Symptome oft von Unsicherheit und dem Drang, weinen zu müssen – besonders dann, wenn wir spüren, dass wir noch einmal Glück hatten und sich andere Menschen in diesem Moment selbstlos und liebevoll um uns kümmern.

Und ganz wichtig: Unser Körper weiß, was in solchen Momenten zu tun ist. Vertrauen wir ihm. Alle diese Reaktionen helfen uns, das Erlebte auf eine gesunde Art und Weise zu verarbeiten. Das Zittern baut die überschüssige Energie in unseren Körperzellen ab und verhindert, dass diese eingefroren wird und zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führt. Langsames Laufen (falls uns das guttut) oder leichtes Schütteln der Arme hilft unserem Körper, die Energie freizusetzen.

Was wir jetzt ebenfalls benötigen, ist der Kontakt zu anderen Menschen. Einfühlsame Worte und liebevolle Berührungen, z. B. die Hand halten, die Stirn und den Hinterkopf in beide Hände nehmen, Berührungen am Oberarm oder sogar eine Umarmung: All das signalisiert unserem Körper, dass wir gehalten werden.

Tiefes, gleichmäßiges und langsames Atmen deutet unser Körper als „ich bin in Sicherheit“, denn genau das tun wir in Entspannungssituationen. Auch ein Glas Wasser und jemand der unsere Füße festhält, hilft dabei, uns wieder zu erden.

Über das Erlebte sprechen zu können, kann ebenfalls bei der Verarbeitung helfen.

 

Wie ging mein Urlaubserlebnis weiter?

Ich sprach das junge Mädchen an. Sie hieß Sofie und war im Wald beim schnellen Gehen gegen einen tiefhängenden Ast gelaufen. Sie hatte nicht nur eine Platzwunde an der Stirn, sondern war durch den Aufprall auch auf den Rücken gestürzt. Da sie nicht wusste, wie schwer sie verletzt war und was mit ihrem Körper gerade geschah, hatte sie Angst.

Wir setzten uns zusammen vor den Kamin. Ich sagte, dass ich Psychologin sei und erklärte ihr, dass das Zittern eine völlig normale Reaktion ihres Körpers wäre, um den Unfall zu verarbeiten.

„Dein Körper weiß, was zu tun ist, du kannst ihm vertrauen“, sagte ich ihr.

Dieser Satz, und meine Versicherung, dass es sich nur um eine leichte Verletzung handelte, die viel schlimmer aussehen würde, als sie sei, beruhigten sie sehr.

Ich legte ihr dabei die ganze Zeit die Hand auf die Schulter und sprach mit ruhiger Stimme. Sie fing an zu weinen und entschuldigte sich dafür. Ich sagte zu ihr: „Es ist gut, dass du weinen kannst. Du hast dich gerade verletzt und dadurch die Erfahrung gemacht, dass du nicht unverwundbar bist. Es ist normal, dass bei dir Tränen fließen. Das ist auch gut so, denn die Emotionen, die du gerade spürst, müssen heraus.“ Sie bedankte sich bei mir für mein Verständnis und meine Erklärungen.

Auch andere Menschen halfen Sofie. Der Hüttenwirt brachte ihr ein Glas warmes Wasser und eine wärmende Decke. Sofies Freund tupfte ihre Stirn mit Jodersatz ab und hielt auf mein Anraten hin ihren Kopf in seinen Händen (eine Hand auf der unverletzten Stirn, die andere am Hinterkopf). Sofie war sehr berührt, wie viel Liebe ihr entgegengebracht wurde.

Zum Abschied umarmte sie mich und bedankte sich herzlich.

Für mich war dieser Tag sehr einschneidend und bewegend. Während ich diese Zeilen schreibe, denke ich immer noch an Sofie.

Ich wünsche allen Menschen, dass sie in ähnlichen Situationen wissen, was zu tun ist, und, falls es uns selbst einmal betrifft, dass wir Menschen an unserer Seite haben, die sich liebevoll um uns kümmern. Daher freue ich mich, wenn du diesen Artikel teilst.

Bei Fragen oder Anregungen schreibe mir bzw. uns gern an hallo@shp-potential.de.
Wir freuen uns auf deine Nachricht.

 

Mit lieben Grüßen und den besten Wünschen für dich,

❤️-lichst

Tina