Die psychologische Kraft der Kälte
Je nachdem, wo du gerade bist, könnte es jetzt im August ganz schön heiß sein. Ideal, um sich mit dem Thema Kälte zu beschäftigen.
Vielleicht hast du schon mitbekommen, dass ich (Tina) vor circa zwei Jahren die Kraft der Kälte für mich entdeckt habe … und mittlerweile einige
SHP-Teilnehmer*innen, Mentor*innen und Trainer*innen damit angesteckt habe.
Ist es verrückt, im Winter jeden Morgen mit eiskaltem Wasser im Garten zu duschen?
Oder steckt da tatsächlich mehr dahinter?
Kann Kälte zu mehr Wohlbefinden, mentaler Ausgeglichenheit, Stressreduktion und besserem Schlaf beitragen? Kann Kälte uns gesünder machen und,
falls ja, wie? Warum wird Kälte im Zusammenhang mit der Behandlung von Schmerzen und depressiven Zuständen diskutiert?
Wie kann Kälte mir helfen, mental stabil und psychisch gesund zu werden und zu bleiben?
Ein Artikel, auf den sicher schon viele, die mich kennen, gewartet haben. Aber Achtung, er birgt die Gefahr, dass auch du bald unter die kalte Dusche springst…
Wenn du mutig bist, dann lies hier weiter.
Glücklich durch Kälte
Warum Kälte glücklich macht und welche Hormone dabei wann und wie genau ausgeschüttet werden, wird unterschiedlich diskutiert. Aber eins ist sicher:
Das euphorische Glücksgefühl nach der Kälte ist unübersehbar und für jeden fühlbar.
Wenn ich morgens im Winter 5 Minuten lang unter der eiskalten Dusche stehe, der erste Schnee im Garten liegt und es neblig ist, dann spüre ich, welche innere Kraft mein Körper hat. Meine Haut ist eiskalt, doch in mir ist es warm. Ich friere nicht. Mein Körper produziert Wärme auf Hochtouren. Mein Verstand ist kristallklar. Ich denke nichts. Ich atme.
Mittlerweile ist es keine Überwindung mehr für mich, morgens unter die kalte Dusche zu gehen. Ich tue es einfach – ganz automatisch. Ich bin nach wie vor begeistert, wie die Kälte täglich meine Emotionen reguliert, mich ausgeglichener macht und mich meiner mentalen und körperlichen Stärke bewusst werden lässt. Das Vertrauen in meinen Körper hat davon enorm profitiert.
Und die gute Nachricht: Das ist auch für dich möglich!
Kälte gibt uns die Möglichkeit, bewussten Einfluss auf unser autonomes Nervensystem zu nehmen, und damit Körper und Geist zu stärken.
Was passiert genau, wenn wir uns in die Kälte wagen?
Aktivierung der Selbstheilungskräfte
Sobald der Körper sich (meist nach einigen Sekunden) an die Kälte gewöhnt hat (die obersten Hautschichten nehmen die Temperatur der Umgebung an), nimmt die Aktivität des sympathischen Nervensystems (für Aktivierung zuständig) ab und das parasympathische Nervensystem (für Entspannung zuständig) übernimmt. Die anfängliche „Kälte-Hysterie“ des Körpers verändert sich zu immer mehr Entspannung. Damit werden die körpereigene Selbstregulation und die Selbstheilungskräfte aktiviert und trainiert. So können durch Kälteanwendungen Müdigkeit und Schlafstörungen reduziert werden, aber auch Angstzustände, Stresssymptome, Entzündungen, Schmerzen und Depressionen gelindert werden. Fast jede ärztliche Behandlung kann somit durch Kälteanwendungen unterstützt werden.¹
Herz-Kreislauf fördern (Kardiovaskuläres Training)
Bei Kälte verengen sich die Blutgefäße, bei Wärme dehnen sie sich aus. Deshalb haben wir im Winter blasse Hände und im Sommer einen roten Kopf. Bleiben wir jedoch etwas länger unter der kalten Dusche (oder im Tauchbecken), passiert etwas Besonderes. Es kommt zu einem dynamischen Wechsel von Verengung und Ausdehnung der Blutgefäße, weil der Körper damit versucht, das Gewebe vor Kälteschäden zu schützen (Cold Induced Vasodilatation [CIVD], Hunting Reaction). Deshalb ist bewusste Kälteexposition ein tolles Herz-Kreislauf-Training, das unsere Gefäße stärkt, Herz-Kreislauf-Beschwerden vorbeugt, vor Ablagerungen in den Arterien schützt und damit auch vor Bluthochdruck – einer der Risikofaktoren für Schlaganfall und Herzinfarkt.
Kälte sorgt zudem dafür, dass wir besser Sauerstoff aufnehmen können und unsere Bronchien und Atemmuskulatur entspannen.² Auch der aktive Sauerstofftransport nimmt bei Kälte zu, wodurch wir leistungsfähiger werden. Spitzensportler wissen das und gehen nach einem Training oder Wettbewerb ins Eisbad.
Fettzellen und Diabetes aufgepasst
Im Jahr 2009 wurde nachgewiesen, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene braunes Fettgewebe zur Wärmebildung nutzen und damit Kalorien in Wärme umwandeln können.³ Dabei ist es wichtig zu wissen, dass wir drei Arten von Fettzellen haben: weiße, braune und beige. Während die „guten“ braunen Fettzellen (durch Mitochondrien) Kalorien in Energie umwandeln, können weiße Fettzellen das nicht. Leider nimmt die Menge und die Aktivität der „guten“ braunen Fettzellen mit dem Alter ab: ⁴
Weniger Kalorien werden in Energie umgewandelt, der Stoffwechsel wird langsamer. Auch werden die „guten“ braunen Fettzellen mit jedem Gramm Körpergewicht, dass wir haben, weniger aktiv.⁵
Jetzt kommen die guten Nachrichten: Die beigen Fettzellen, die man erst im Jahr 2012 entdeckte,⁶ können in „gute“ braune Fettzellen umgewandelt werden. So kann durch Kälteexposition die Menge an „guten“ braunen Fettzellen erhöht und zusätzlich ihre Aktivität gesteigert werden. Somit unterstützt Kälte den Stoffwechsel und kann sogar unterstützend zur Therapie bei Diabetes eingesetzt werden, da Kälte die Insulinsensitivität bei Typ-2-Diabetes erhöht.⁷
Stress, Burnout, Depression und Schmerzen ade
Beim Eintauchen in kaltes Wasser kommt es zu zwei gegensätzlichen körperlichen Reaktionen: Dem Kälteschock und dem Tauchreflex.⁸
Durch den Kälteschock steigt die Herzschlagfrequenz und die Atemfrequenz. Durch den Tauchreflex, der z. B. durch kaltes Wasser im Gesicht aktiviert wird, entsteht eine genau gegensätzliche Reaktion: der Herzschlag verlangsamt sich, der Blutdruck steigt und der Parasympathikus (verantwortlich für Entspannung) wird aktiviert.
So kommt es, dass wir im kalten Wasser anfangs zwar Herzrasen bekommen und nach Luft schnappen, aber langfristig ganz ruhig und tiefenentspannt werden (bei mir nach ca. 1 bis 2 Minuten).
Langfristig werden durch diese beiden Vorgänge tolle Effekte für die Gesundheit erzielt: der Ruhe- und Belastungsblutdruck sinkt,⁹ die Herzratenvariabilität steigt¹⁰ (wobei eine hohe Variabilität der Herzrate unseren Körper anpassungsfähiger und resistenter macht).
Die Folge ist: Wir schlafen besser, können Stress besser verarbeiten und Schmerzen werden gelindert.¹¹ Kälte hilft also bei Stress, Burnout und Depression!
Kältereize und Schmerzreize werden durch die gleichen Leitungsbahnen im Körper verbreitet, wobei Kältereize die Schmerzreize überlagern. So kommt es zu einer subjektiven Schmerzreduzierung, und die durch chronische Schmerzen überreizten Nervenbahnen werden desensibilisiert.¹² Kälte wird daher auch in der Medizin zur Schmerzbehandlung eingesetzt.
Anmerkung: Menschen mit hohem Blutdruck bitte Vorsicht – bitte einen Arzt dazu konsultieren!
Immunsystem stärken und Hormone regulieren
Dabei hat man früher noch gelernt, dass Kälte krank macht: „Hol’ dir keine Erkältung, zieh dich warm an!”, hieß es so schön. Ein durch Kälte ausgelöster Einfluss auf das Ansteckungsrisiko für Krankheiten konnte jedoch in neueren Studien nicht nachgewiesen werden. ¹³ ¹⁴ Im Gegenteil:
Kälte aktiviert auch unser Immunsystem, steigert unsere Abwehrkräfte und senkt die Wahrscheinlichkeit von Atemwegsinfektionen.¹⁵ Darüber hinaus wirkt Kälte entzündungshemmend im Körper. Das geschieht über die Aktivierung des Vagusnervs¹⁶ ¹⁷ und über das Hormon Noradrenalin.¹⁸
Kälte reduziert auch chronisch entzündliche Krankheiten kurz- und längerfristig.¹⁹ ²⁰ Eine von vielen Studien konnte sogar zeigen, dass regelmäßiges kaltes Duschen (30 – 90 Sekunden) über 30 Tage zu einer Reduktion der selbstgemeldeten Krankheitstage von 30% führt.²¹
Selbst das Hormonsystem wird positiv durch Kälte beeinflusst. So werden Stresshormone reduziert und unser Wohlbefinden gefördert. Ehrlich: Unter einer eiskalten Dusche hast du keine Sorgen, Ängste und Zweifel mehr!
Muskulatur
Durch die Durchblutungssteigerung wird die Regeneration des Muskelgewebes gefördert – wir können unsere Muskeln besser ansteuern (Stichwort: neuronale Aktivierung) und unsere Muskeln entspannen sich (Stichwort: Senkung des Muskeltonus). So fühlt man sich nach der kalten Dusche so entspannt wie nach einer Ganzkörpermassage.
Na, habe ich zu viel versprochen?
So kalt kann keine Dusche sein, dass ich auf all diese Vorteile verzichten möchte. Wenn du mit dabei sein möchtest, dann habe ich dir einige Buchempfehlungen und einen kleinen Leitfaden erstellt, der dich bei den ersten Schritten ins kühle Nass unterstützen wird – jetzt ist der ideale Zeitpunkt zu starten.
Den Leitfaden kannst du hier downloaden:
Bei Fragen schreibe mir bzw. uns gern an hallo@shp-potential.de.
Wir freuen uns auf deine Nachricht.
Mit lieben Grüßen und eiskalten Wünschen für dich,
❤️-lichst
Tina
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Quellennachweis:
¹Worseck, Josephine (2020). Die Heilkraft der Kälte: Mit Kälte das Immunsystem stärken, Stress reduzieren und leistungsfähiger werden. Riva.
²Papenfuß, W. (2015). Die Kraft aus der Kälte – Ganzkörpertherapie bei -110 °C, 3. Aufl. Edition k.
³van Marken Lichtenbelt, W. D., Vanhommerig, J. W., Smulders, N. M., Drossaerts, J. M., Kemerink, G. J., Bouvy, N. D., … & Teule, G. J. (2009). Cold-activated brown adipose tissue in healthy men. New England Journal of Medicine, 360(15), 1500-1508.
⁴Pfannenberg, C., Werner, M. K., Ripkens, S., Stef, I., Deckert, A., Schmadl, M., … & Stefan, N. (2010). Impact of age on the relationships of brown adipose tissue with sex and adiposity in humans. Diabetes, 59(7), 1789-1793.
⁵van Marken Lichtenbelt, W. D., Vanhommerig, J. W., Smulders, N. M., Drossaerts, J. M., Kemerink, G. J., Bouvy, N. D., … & Teule, G. J. (2009). Cold-activated brown adipose tissue in healthy men. New England Journal of Medicine, 360(15), 1500-1508.
⁶Wu, J., Boström, P., Sparks, L. M., Ye, L., Choi, J. H., Giang, A. H., … & Spiegelman, B. M. (2012). Beige adipocytes are a distinct type of thermogenic fat cell in mouse and human. Cell, 150(2), 366-376.
⁷Hanssen, M. J., Hoeks, J., Brans, B., Van Der Lans, A. A., Schaart, G., Van Den Driessche, J. J., … & Schrauwen, P. (2015). Short-term cold acclimation improves insulin sensitivity in patients with type 2 diabetes mellitus. Nature medicine, 21(8), 863-865.
⁸Shattock, M. J., & Tipton, M. J. (2012). ‘Autonomic conflict’: a different way to die during cold water immersion?. The Journal of physiology, 590(14), 3219-3230.
⁹Jacob, E. M., & Volger, E. (2009). Blutdrucksenkung durch Hydrotherapie: Eine randomisierte, kontrollierte Studie bei leichter bis mittelschwerer Hypertonie. Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, 19(03), 162-168.
¹⁰Westerlund, T. (2009). Thermal, circulatory, and neuromuscular responses to whole-body cryotherapy. Oulun yliopisto.
¹¹Huttunen, P., Kokko, L., & Ylijukuri, V. (2004). Winter swimming improves general well-being. International Journal of Circumpolar Health, 63(2), 140-144.
¹²Muzik, O., Reilly, K. T., & Diwadkar, V. A. (2018). “Brain over body”–A study on the willful regulation of autonomic function during cold exposure. NeuroImage, 172, 632-641.
¹³Dowling, H. F. et al. (1958). Transmission of the common cold to volunteers under controlled conditions, III. The effect of chilling of the subjects upon susceptibility. American Journal of Hygiene, 68(1), 59-65.
¹⁴Douglas Jr, R. G., Lindgren, K. M., & Couch, R. B. (1968). Exposure to cold environment and rhinovirus common cold: failure to demonstrate effect. New England Journal of Medicine, 279(14), 742-747.
¹⁵Goedsche, K., Foerster, M., Kroegel, C., & Uhlemann, C. (2007). Serielle Kaltwasserreize (Kneipp’scher Oberguss) bei Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis (COPD). Complementary Medicine Research, 14(3), 158-166.
¹⁶Wojtecka-Lukasik, E., Ksiezopolska-Orlowska, K., Gaszewska, E., Krasowicz-Towalska, O., Rzodkiewicz, P., Maslinska, D., … & Maslinski, S. (2010). Cryotherapy decreases histamine levels in the blood of patients with rheumatoid arthritis. Inflammation research, 59, 253-255.
¹⁷Bonaz, B., Sinniger, V., & Pellissier, S. (2016). Anti‐inflammatory properties of the vagus nerve: potential therapeutic implications of vagus nerve stimulation. The Journal of physiology, 594(20), 5781-5790.
¹⁸Leppäluoto, J., Westerlund, T., Huttunen, P., Oksa, J., Smolander, J., Dugué, B., & Mikkelsson, M. (2008). Effects of long‐term whole‐body cold exposures on plasma concentrations of ACTH, beta‐endorphin, cortisol, catecholamines and cytokines in healthy females. Scandinavian journal of clinical and laboratory investigation, 68(2), 145-153.
¹⁹Rymaszewska, J., Tulczynski, A., Zagrobelny, Z., Kiejna, A., & Hadrys, T. (2003). Influence of whole body cryotherapy on depressive symptoms–preliminary report. Acta Neuropsychiatrica, 15(3), 122-128.
²⁰Rymaszewska, J., Ramsey, D., & Chładzińska-Kiejna, S. (2008). Whole-body cryotherapy as adjunct treatment of depressive and anxiety disorders. Archivum immunologiae et therapiae experimentalis, 56, 63-68.
²¹Buijze, G. A., Sierevelt, I. N., van der Heijden, B. C., Dijkgraaf, M. G., & Frings-Dresen, M. H. (2016). The effect of cold showering on health and work: a randomized controlled trial. PloS one, 11(9), e0161749.